Oksana Havryliv: Schimpfen will gelernt sein

Seit 30 Jahren beschäftigt sich die Sprachwissenschaftlerin Oksana Havryliv mit dem Schimpfen und Fluchen. Jetzt hat die in Währing lebende Ukrainerin die Ergebnisse ihrer Arbeit in einem neuen populärwissenschaftlichen Buch zusammengefasst. Wir haben mit ihr besprochen, worauf es beim richtigen Schimpfen ankommt.

Währing als Traumbezirk

Als sie in den 1990ern das erste Mal als Studentin nach Wien gekommen ist, sei Währing ihr Traumbezirk gewesen, erzählt Oksana Havryliv. Bei den Veranstaltungen an der ukrainischen Botschaft am Schafberg habe sie sich immer wieder gedacht: Hier würde ich gerne leben. Seit 2012 wohnt die gebürtige Lembergerin mit ihrem Mann und den beiden Kindern im 18. Bezirk. Und wegen des russischen Angriffs auf ihr Heimatland ist an eine baldige Rückkehr nicht zu denken.

Andere Sprachen, andere Schimpf-Kulturen

In ihrer Forschung beschäftigt sich die Sprachwissenschaftlerin seit ihren ersten Aufenthalten in Wien mit dem Schimpfen, dem Fluchen und der sogenannten „unsauberen“ Sprache. Sie schaut sich an welche Funktionen Schimpfen haben kann, wie sich das Schimpfen über die Zeit und zwischen den Generationen verändert und welche unterschiedlichen Schimpfkulturen es in verschiedenen Sprachen gibt. Im Deutschen haben viele Schimpfwörter anale Bezüge: Scheiße, Arschloch und so weiter. Im Englischen und auch in vielen slawischen Sprachen haben sie eher sexuelle Bezüge. „Fuck you“ ist nur eines von vielen Beispielen.

Schleich Di, Du Oaschloch!

Havryliv hat schon eine Reihe wissenschaftlicher Bücher und Fachartikel über das Schimpfen und Fluchen veröffentlicht. Jetzt richtet sie sich an ein breiteres Publikum, der Text ist pointierter und kurzweiliger als ihre früheren Werke. Für die meisten Menschen sei Fluchen ein Ventil, etwa drei Viertel des Schimpfens diene dazu sich abzureagieren und Dampf abzulassen (eine „kathartische“ Funktion wie es in den früheren Büchern heißt). Klassische Beispiele dafür sind die inzwischen geflügelten Worte „Schleich Di, Du Oaschloch“ nach dem Anschlag in der Wiener Innenstadt oder der Ausruf „Fick Dich, Russisches Kriegsschiff (Русский военный корабль, иди нахуй)“, der kurz nach dem Angriff auf die Ukraine weite Verbreitung fand.

Oksana Havryliv: Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen

Wirklich ALLES über das Schimpfen, Beschimpfen, Fluchen und Verwünschen

Komplett Media, 224 Seiten
Erscheinungstermin: 5.10.2023

Jugendsprache als Schimpf-Reservoir

Etwa ein Achtel des Schimpfens sei scherzhaft, nur der Rest sei bedrohend und beleidigend gemeint – und hier gebe es auch eine schwer zu fassende fließende Grenze zur verbalen Gewalt. Dabei müsse man aufpassen, denn aus verbalen Bedrohungen können auch schnell tätliche und körperliche Übergriffe entstehen. Aus der Jugendsprache würden immer wieder neue Schimpfwörter den Sprung in die Alltagssprache schaffen. Im großen und ganzen sei das Schimpf-Reportoire aber weitgehend stabil.

Erholen im Türkenschanzpark

Die Forschung von Oksana Havryliv beruht auf mehreren unterschiedlichen Quellen. In Wien hat sie zum Beispiel systematisch Schülerinnen und Schüler befragt und das entsprechend wissenschaftlich publiziert. Die Forschung über Ärger, Wut und Aggression sei nicht immer einfach auszuhalten, erzählt sie. Erholung findet sie im Türkenschanzpark, den sie als ihre zweites Wohnzimmer bezeichnet. Jeden Tag versuche sie eine Stunde mit Nordic-Walking-Stöcken im Park unterwegs zu sein, die Vögel und die Natur zu beobachten. Denn auch die, wie es auf dem Buch heißt, „verdammt noch mal einzige wahre Expertin“ über das Fluchen braucht manchmal ein wenig Ruhe – bevor sie sich wieder neuen Projekten widmen kann: Zum Beispiel ihrer Facebook-Seite über die österreichische Küche oder die Unterstützung von Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine nach Österreich geflüchtet sind.

Mehr zu Literatur in und aus Währing

Barbara Kadletz empfiehlt das Buch zum Wochenende

Slowenische literarische Spuren in Währing

Todesgrant: Tatort Kreuzgasse

Das Cottage: Vom Wohnprojekt zur Villengegegend

Cafe Schopenhauer: Ein wieder zum Leben erwecktes Cafehaus

Bilder: Oksana Havryliv