Im Jänner hat der Bezirk seinen Teil der Finanzierung für den Umbau des Gersthofer Platzls beschlossen, doch von der Stadtregierung gibt es nach wie vor keine Entscheidung. Die Gruppe „Lebenswertes Gersthof“ appelliert an Stadträtin Ulli Sima, den Umbau noch in diesem Sommer möglich zu machen. Der Verkehr am Platzl ist zuletzt um 15% zurückgegangen. Auch die Initiative „Platz für Wien“ fordert die Stadt auf, die Mittel für den Umbau freizugeben.
Seit dem Jahr 2017 wird rund um das Gersthofer Platzl diskutiert und geplant. Damals begann die Agenda-Gruppe „Lebenswertes Gersthof“ die BenützerInnen, Geschäftsleute und AnrainerInnen des Platzls zu befragen, erinnert sich Gruppensprecher Peter Schöler. Zu Beginn gab es einigen Widerstand, aber gemeinsam sei es gelungen, Lösungen zu finden und er nennt ein Beispiel: Eines der Probleme war, dass keine ausreichenden Ladezonen für die Geschäfte am Platzl zur Verfügung standen. Nach einigem Hin und Her habe sich ein geeigneter Platz gefunden.
Technisch saubere Lösungen statt Utopien
Ausgehend von diesen Diskussionen haben Techniker der Wiener Linien und des Magistrats einen Plan erstellt, der einen Kompromiss bedeutet: Die Zahl der Fahrspuren wird reduziert, die Busspur wird verlängert, die Gehsteige werden verbreitert, es kommen neue Bäume und mehr Grün aufs Platzl. Keine Interessens-Gruppe habe sich zu 100% durchsetzt, sagt Schöler. Radfahrer kritisieren zum Beispiel, dass nicht auf beiden Seiten Radwege vorgesehen sind. Die faire Verteilung des öffentlichen Raums beruhe eben auf Kompromissen.
Am Platzl könne man keine Utopien umsetzen sondern müsse mit den Gegebenheiten arbeiten wie sie sind. Die Gruppe hätte sich zum Beispiel eine stärkere Einbindung des Platzes vor der S-Bahn in der Simonygasse gewünscht – der Grundeigentümer habe dem aber nicht zugestimmt. Eine große Herausforderung war der zentrale Leitungsmast, an dem fast alle Oberleitungen, Ampeln und Straßenlaternen irgendwie befestigt sind. Diesen Mast zu versetzen, hätte deutlich mehr als 100.000 Euro gekostet – daher wurde rund um den bestehenden Mast herum geplant.
Auch die Wirtschaftskammer ist für den Umbau
Besonders freuen sich die Mitglieder der Agendagruppe, dass fast alle StandlerInnen am Platz den Umbau unterstützen. Im Bereich des Marktes hat der Bezirk einige Maßnahmen vorgezogen: Im vergangenen Sommer wurde der Boden neu gepflastert und im Lauf dieses Jahres wird eine öffentliche Toilette eröffnet. Auch die Wirtschaftskammer unterstützt den Umbau. Die Gewerbetreibenden und die PassantInnen würden profitieren, erklärte Wirtschaftskammer-Bezirksobmann Walter Seemann im Jänner: Das Umsteigen, Queren und Einkaufen werde sicherer. Seemann freut sich außerdem auf breitere Gehsteige, mehr Sitzmöglichkeiten, fünf Bäume, Pflanzenbeete und einen Trinkbrunnen.
„Ich gehe eigentlich davon aus, dass auch die neue Stadtregierung dieses Projekt unterstützen wird: Nicht nur, dass unsere Projekte im Bezirk durch das Wahlergebnis bestärkt wurden und es jetzt auch einen Bezirksbeschluss für das Projekt gibt. Es entspricht vor allem in hohem Ausmaß wichtigen Punkten des rot-pinken Regierungsprogramms.“
Bezirksvorsteherin Silvia Nossek
Gemeinderatswahl brachte Mehrheit für Befürworter des Umbaus
Sechs Personen waren der Kern der Agendagruppe, im Lauf der Jahre haben viele weitere Interessierte ihre Ideen und Vorstellungen eingebracht. Sie alle haben ehrenamtlich gearbeitet und dabei viele Stunden ihrer Freizeit eingebracht. Die Bezirkspolitik habe sehr unterschiedlich darauf reagiert, erzählt Schöler. Die NEOS hätten von Anfang an mitgearbeitet, auch die Vertreter der FPÖ hätten konstruktive Ideen geliefert. Von SPÖ und ÖVP habe es aber von Anfang Zurückhaltung gegeben – und von diesen Parteien kam dann auch der stärkste politische Widerstand. Die SPÖ schickte das fertige Projekt 2019 in eine, wie es damals hieß, Rückkopplungsschleife: Es gab weitere Beratungen und zusätzliche Bürgerversammlungen. Im Jahr vor der Wahl wollte die SPÖ dann eine Bürgerbefragung im Bezirk durchsetzen – obwohl es dafür derzeit keine rechtliche Grundlage gibt. Die Folge: Der Umbau wurde um ein weiteres Jahr verschoben. Die Gemeinderatswahl brachte dann ein klares Ergebnis: NEOS und Grüne, die den Umbau von Anfang an befürworteten, haben jetzt eine ausreichende Mehrheit, um die Finanzierung des Umbaus auch ohne die anderen Parteien zu beschließen.
Der Ball liegt bei Stadträtin Uli Sima
Der Bezirk übernimmt etwas weniger als die Hälfte der knapp 700.000 Euro, die der Umbau kosten soll. Der Rest kommt von der Stadt, aber auch dort brachte die Gemeinderatswahl im Herbst eine politische Änderung. Zuständige Planungsstadträtin ist nicht mehr Birgit Hebein von den Grünen sondern Ulli Sima von der SPÖ. Und die hat zwar in vielen Bezirken Zusagen für verkehrsberuhigende und klimafreundliche Umbauten gemacht, beim Umbau in Währing steht sie aber unter innerparteilichem Druck.
Michael Trinko, der Clubchef der Währinger der SPÖ unterstützt den Umbau grundsätzlich, erklärte er im Gespräch mit „Unser Währing“, auch wenn er sich einige Änderungen wünscht. Der Vorsitzende der Währinger SPÖ, Gemeinderat Andreas Höferl, hat sich in der Vergangenheit aber immer wieder vehement gegen den Umbau ausgesprochen. Die Währinger SPÖ hat unter seiner Führung zwei Mandate verloren, ganz gegen den Wiener Trend. Sie hat das schlechteste Wahlergebnis aller 23 SPÖ-Bezirksparteien erzielt – ob das bei ihm zu einem Umdenken geführt hat, ist unklar.
Der Autoverkehr ist in den letzten Jahren um 15 Prozent zurückgegangen
Seit dem Jahr 2011 gibt es eine automatische Verkehrszählanlage in der Gersthoferstraße, die aktuell vorliegenden Daten reichen bis ins Jahr 2019. Die Zählung zeigt, dass sich die Zahl der Autofahrten in den letzten Jahren deutlich reduziert hat. Einen ersten Rückgang gab es bei der Einführung der Parkraumbewirtschaftung in den Bezirken außerhalb des Gürtels im Jahr 2013, danach stieg die Zahl aber wieder an. Noch deutlicher war der Rückgang nachdem das Parkpickerl auch auf Währing ausgedehnt wurde. Gegenüber dem Höchstwert ist die Zahl der Autofahrten in der Gersthofer Straße bis ins Jahr 2019 um 15 Prozent zurückgegangen , also um fast 3.000 Fahrten pro Tag.
Vorgeschobene Kritik um Projekt zu verhindern
Peter Schöler, Leiter der Agendagruppe, appelliert an die Stadtpolitik, parteipolitische Fragen hintanzustellen. Es gehe darum, die Situation zu verbessern und nicht um politische Befindlichkeiten. Schöler lebt seit 42 Jahren in der Gersthofer Straße, erzählt er, und habe miterlebt, wie aus einer ruhigen einspurigen Gasse mit Bäumen eine Art Mini-Autobahn geworden sei. Gleichzeitig seien die Geschäfte in diesem Teil der Gersthofer Straße nach und nach verschwunden. Um die Gegend wieder zu beleben, müsse der Verkehr beruhigt werden. Die neue rot-pinke Stadtregierung bekenne sich in ihrem Programm zum Klimaschutz – das Platzl sei der richtige Ort, um entsprechende Maßnahmen zu setzen. Kein Plan könne perfekt sein, sagt er. Aber viele Kritikpunkte seien in Wirklichkeit nur vorgeschoben, um das Projekt zu verhindern.
Streitpunkt Busstationen: Wohin mit der Haltestelle des 10a?
Das zeigt sich zum Beispiel an den Argumenten zur Verschiebung der Station des 10a in Richtung Heiligenstatt. Der Plan sieht vor, dass die Station direkt vor den Eingang der S45 verlegt wird. Die Entfernung zwischen den Stationen des 10a und den Straßenbahnen 40/41 wäre dann nicht mehr etwa 60 Meter sondern rund 110 Meter – je nach Ausstiegsstelle also etwa 50 Meter mehr. Dafür wird das Umsteigen von der S-Bahn kürzer. Das sei unannehmbar, hieß es dazu von verschiedenen Parteien. Allein diese Verschiebung sei Grund genug, den Umbau an sich abzulehnen.
Die gleichen Parteien haben vor einem Jahr die ursprünglich geplante Linienführung des 42a über das Gersthofer Platz verhindert – und dort gilt das Argument der Entfernung zu den Straßenbahnlinien offenbar nicht. Von den Wiener Linien war eigentlich eine Linienführung durch die Herbeckstraße vorgesehen, jetzt ist eine Führung durch die Simonygasse geplant. Die neue Haltestelle soll unter der Eisenbahnbrücke über die Währingerstraße entstehen.
Die Entfernung von der Station der Straßenbahnen ist dabei gleich um 140 Meter länger als bei der ursprünglich geplanten Haltestelle. Von „unannehmbar“ hört man hier allerdings nichts, im Gegenteil: Die neue Linienführung wird als politischer Sieg gefeiert – obwohl die Entfernungen deutlich größer sind.
Streitpunkt Sicherheit: Die Ampel vor dem Tchibo
Der vorliegende Plan sieht vor, dass die Einmündung der Gentzgasse in die Gersthofer Straße deutlich verschmälert wird. Im Moment gibt es hier zwei Autospuren, außerdem soll eine Schwelle die Autofahrer zwingen, langsamer zu fahren. Dafür soll die Fußgängerampel in diesem Bereich wegfallen. Kritiker befürchten, dass FußgängerInnen dadurch gefährdet werden und nicht mehr so gut über die Straße kommen.
Gersthofer Platzl Tchibo Kreuzung „Tchibo“ Kreuzgasse / Teschnergasse
Ein Blick ins Kreuzgassenviertel zeigt, dass diese Befürchtung nicht eintreten muss. Im Zug des Umbaus des Johann-Nepomuk-Voglmarktes wurde bei der Kreuzgasse/Teschnergasse die Ampel entfernt. Statt dessen wurde die Kreuzgasse an dieser Stelle verschmälert und eine 30er-Zone eingeführt. Zur Teschnergasse hin wurde eine erhöhte Schwelle errichtet. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt, dass die Situation sich für die Fußgänger dadurch sogar verbessert hat: Es gibt kein Warten auf die Grünphase mehr, Autofahrer müssen vor dem Zebrastreifen stehen bleiben und es gibt auch keine Problem mehr mit dem „Angasen“, bevor die Ampel für die Autos auf Rot schaltet.
Verkehrsprognose zeigt, dass es keine zusätzlichen Staus geben wird.
Der vorliegende Entwurf wurde von VerkehrstechnikerInnen der Magistratsabteilungen 46 und 28 in Abstimmung mit den Wiener Linien erstellt. Dabei wurde von der Magistratsabteilung 33 auch eine umfangreiche Verkehrssimulation durchgerechnet. Das Ergebnis: Für die Busse bedeute der Umbau eine Verbesserung, für den motorisierten Individualverkehr könne es zu leichten Verzögerungen kommen – von einem zusätzlichen Stau könne aber keine Rede sein. Die letzten Zählungen zeigen außerdem, dass der motorisierte Individualverkehr hier deutlich zurückgegangen ist: Zwischen 2011 und 2017 – das sind die aktuellsten Daten – ist die Zahl der Fahrten im Bezirk je nach Zählstelle zwischen 10 und 22 % gesunken.
Platz für Wien: Stadt soll Mittel für Umbau freigeben
Auch die Initiative „Platz für Wien“ fordert Stadträtin Sima auf, die Mittel für den Umbau des Platzls freizugeben. Die derzeitigen Pläne würden auf dem Verkehrsaufkommen zu Planungsbeginn beruhen . Bis 2030 hat sich die Stadt aber das Ziel gesetzt den Autoverkehr fast zu halbieren, sagt Sprecherin Barbara Laa: „Es wird Zeit, dass die selbsternannte Fortschrittskoalition auch das Mobilitätsthema ambitioniert angeht. Die Finanzierung der vorliegenden Pläne oder gar die Umsetzung eines noch progressiveren Umbaus des Gersthofer Platzls mit sicherer Radinfrastruktur wäre ein erster Schritt in diese Richtung.“
Gegner haben keine machbaren Alternativen vorgelegt
Im Wahlkampf haben sowohl SPÖ als auch ÖVP angegeben, alternative Pläne für den Umbau des Platzls entwickelt zu haben. Bei diesen Plänen ist allerdings nichts von einer systematischen Einbindung der Bevölkerung bekannt, anders als beim vorliegenden Projekte – von der geforderten BürgerInnenbeteiligung kann also keine Rede sein. Beide Pläne haben auch deutliche inhaltliche Mängel und sind von einer Umsetzungsfähigkeit weit entfernt. Die SPÖ hat zum Beispiel Bäume im Bereich der Bushaltestellen vorgesehen – das widerspricht den Vorgaben der Wiener Linien. Und soweit sich das auf dem Plan der ÖVP erkennen lässt, sollen alle Autospuren beibehalten werden. Die Bäume sollen demnach auf den bestehenden Gehsteigen gepflanzt werden, die schon jetzt deutlich zu schmal sind.
Petition verbreitet Falschinformationen über den Umbau
Was Peter Schöler von der Gruppe „Lebenswertes Gersthof“ zu denken gibt, sind die Anfeindungen und gezielten Falschinformationen, die im Rahmen des Projekts in Umlauf gebracht wurden. Immer wieder hieß es zum Beispiel, die Mitglieder der Agendagruppe würden für ihr Engagement bezahlt – dabei arbeiten sie ehrenamtlich. Dann hieß es, die Detailplanung sei von engagierten Laien erstellt worden – tatsächlich haben TechnikerInnen der MA46-Straßenbau und der Wiener Linien die Planung durchgeführt. Und immer wieder gab es persönliche, untergriffige Kritik – im Fokus sehr oft das angeblich willkürliche und undemokratische Vorgehen von Bezirksvorsteherin Silvia Nossek. Statt sich mit den Details der Planung auseinanderzusetzen, sei den BefürworterInnen des Umbaus pauschal Autohass unterstellt worden – dabei hätten fast alle Agenda-Gruppenmitglieder selber Autos, erzählt Schöler.
In die selbe Richtung geht auch eine aktuelle Petition gegen den Umbau auf der Plattform „Aufstehn“. Bezirksvorsteherin Nossek habe „erneut über die Köpfe der Bevölkerung hinweg entschieden“, heißt es dort. Behauptet wird, dass es sich um die Entscheidung einer einzelnen Person handle. Dass die finanziellen Mittel für den Umbau von der Bezirksvertretung freigegeben wurden, fällt dabei ebenso unter den Tisch wie der mehrjährige Beteiligungsprozess. Die Rede ist außerdem von Staus bis in den 17. und 19. Bezirk, obwohl die Verkehrs-Simulation der Wiener Linien ein anderes Ergebnis gebracht hat. „Unser Währing“ hat versucht die Initiatorin der Petition per Mail zu erreichen – Rückmeldung gab es darauf allerdings keine.