Ausstellung zeigt jüdisches Leben in Währing

Jüdisches Leben in Währing
Jüdisches Leben in Währing

Im Amtshaus zeigt eine Ausstellung ab dieser Woche die Geschichte des jüdischen Lebens in Währing. Vor 1938 gab es hier eine blühende Gemeinde, die von den Nationalsozialisten fast völlig ausgelöscht wurde.

Vom Amtsweg direkt zur Ausstellung

Wer sich ein Parkpickerl holt oder eine Gebühr einzahlen muss, kommt in den nächsten Monaten an der neuen Ausstellung über jüdisches Leben in Währing vorbei. Der eine oder die andere werde wohl stehen bleiben und sich die Schautafeln und Exponate anschauen, freut sich Gestalterin Martha Keil im Gespräch mit „Unser Währing“. So könne sie ein Publikum erreichen, das sonst nicht unbedingt ins Museum gehe. Und zu sehen und erfahren gibt es auf den Schautafeln mehr als genug. Die Währingerin ist Direktorin des Instituts für jüdische Geschichte in Österreich und hat die Ausstellung gemeinsam mit der Grafikerin Renate Stockreiter zusammengestellt.

Die Nationalsozialisten haben das jüdische Leben in Währing weitgehend vernichtet

Bei der Volkszählung im Jahr 1934 gaben genau 5.061 Personen in Währing an, Juden zu sein, also rund 16% der Bevölkerung im Bezirk. Die Definition der Nationalsozialisten umfasste auch Menschen, die sich selbst nicht als jüdisch verstanden. Die Zahl der Währingerinnen und Währinger, die wegen ihrer „Rasse“ verfolgt wurden, dürfte daher noch deutlich größer gewesen sein. Wieviele von ihnen im Holocaust ermordet worden, ist bis heute nicht genau geklärt. Etwa 2.000 BewohnerInnen des Bezirks seien wegen ihrer jüdischen Herkunft getötet worden, schätzt Martha Keil.

Das jüdische Leben, das den Bezirk bis zum zweiten Weltkrieg geprägt hatte, war damit weitgehend ausgelöscht. Wie dramatisch die Ereignisse damals waren, schildert auch die Autorin Marie-Theres Arnbom in ihrem Buch über die Villen von Pötzleinsdorf. Ein Gespräch mit ihr kann man auf dieser Seite nachhören.

Blüte, Vernichtung, Gedenken

Die Ausstellung gliedert sich in drei Teile: Blüte, Vernichtung und Gedenken. Das Jahr 1938 habe eine lange Vorgeschichte gehabt, erzählt Keil, der Antisemitismus sei nicht vom Himmel gefallen. Vor allem in Innerwähring war völkisches Denken schon vorher sehr präsent. Zu sehen ist zum Beispiel die Einladung zu einer Kundgebung der NSDAP in Gersthof im Jahr 1925. Die Ausstellung zeigt aber auch die große Vielfalt des Judentums im Bezirk: Auf der einen Seite das Großbürgertum im Cottage, beispielhaft die Familie des Schriftstellers und Arztes Arthur Schnitzler. Auf der anderen Seite das jüdische Proletariat, das in großer Armut in den Gemeindebauten lebte – aus diesem Gegensatz entstand der Titel der Ausstellung „Schnitzler im Gemeindebau“.

Gezeigt wird auch das Gedenken an die Opfer, das zum Teil erst lange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann. Zum Beispiel die Arbeiten am jüdischen Friedhof Währing oder die Auseinandersetzung rund um das Erbe des antisemitischen Priesters Joseph Deckert in der Pfarre Weinhaus. Der „Pfarrer-Deckert-Platz“ vor der Kirche wurde erst im Jahr 1990 umbenannt.

Sorgsam ausgewählte Ausstellungsstücke

Martha Keil hat sich bei der Recherche für die Ausstellung tief ins Archiv gegraben. Zu sehen sind einige Exponate, die noch nie öffentlich gezeigt wurden. Einige stammen aus dem Bezirksmuseum Währing und wurden von Direktorin Doris Weis zur Verfügung gestellt. Andere kommen vom Jüdischen Museum Wien: Zum Beispiel drei kleine Glocken von Tora-Aufsätzen der Synagoge in der Schopenhauerstraße, die 1938 von den Nazis angezündet und zerstört wurde.

Jüdisches Leben in Währing - Glocken

Die Glöckchen sind bis heute verbeult und verkohlt. Zu sehen sind auch die Ausweise eines Währinger Holocaust-Überlebenden, die seine Familie extra für diese Ausstellung nach Wien geschickt hat. Zu sehen sind aber auch Beispiele der kulturellen und wirtschaftlichen Blüte des Währinger Judentums – etwa eine Statuette der Keramikmanufaktur Goldscheider oder Produkte der Maschinenfabrik Zuckermann, die damals in die ganze Welt exportiert wurden.

Reise in eine zerstörte Vergangenheit

Seit der Renovierung des Amtshauses werden die Räume im Erdgeschoß als Ausstellungsfläche genutzt. Zuletzt war hier Photos über das Leben in der Hundezone von Ivo Schneider zu sehen. Die aktuelle Ausstellung ist eine Reise in die Vergangenheit, die zerstört wurde und verloren gegangen ist. Sie lässt darüber nachdenken, wie der Bezirk heute aussehen würde, wenn die Menschen damals nicht vertrieben oder ermordet worden wären. Ein Besuch im Amtshaus lohnt sich in den nächsten Monaten daher auf jeden Fall. Auch wenn man gerade kein Parkpickerl beantragen oder eine Gebühr begleichen muss.

„Schnitzler im Gemeindebau. Das jüdische Währing – Blüte, Vernichtung, Gedenken“

Foyer des Amtshaus Währing, Martinstraße 100. 19. November bis 31. August 2022

Öffnungszeiten: Mo bis Fr 8.00–15.30, Do 8.00–17.30

Vortrag: 15. Juni: Brigitte Ungar-Klein: U-Boote, Gemeindebauten und der Onkel im Tempelchor

Aktuelle Information dazu gibt es auf der Facebook-Seite der Bezirksvorstehung.